Schwangerschaftsabbruch: Paragraph 218

Schwangerschaftsabbruch: Paragraph 218
Schwangerschaftsabbruch: Paragraph 218
 
Der Schwangerschaftsabbruch (Abtreibung), die künstliche Herbeiführung einer Fehlgeburt, war vom späten Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert hinein unter schwere Strafe gestellt. Das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches aus dem Jahre 1871 bedrohte in § 218 die Eigenabtreibung (durch die Mutter) mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren. Seit der Jahrhundertwende und verstärkt in der Weimarer Republik wurde eine Diskussion um die Strafwürdigkeit des Schwangerschaftsabbruchs geführt. 1926 wurde das Verbrechen der Abtreibung zum Vergehen gemildert und nur mehr mit Gefängnis bestraft. Das nationalsozialistische Regime verschärfte die Strafbestimmungen wieder. Seit 1943 wurde Fremdabtreibung (durch Dritte) mit dem Tode bestraft. Nach 1945 wurde die Eigenabtreibung mit Gefängnis, die Fremdabtreibung mit Zuchthaus bedroht, wenn es auch verhältnismäßig selten überhaupt zu Gerichtsverfahren kam. Man schätzt, dass pro Jahr eine sechsstellige Zahl illegaler Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen wurden. Nach der Bundestagswahl 1972 legten die Fraktionen der SPD und der FDP einen Gesetzentwurf vor, der das Ziel hatte, den Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen zu legalisieren. Ein Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt innerhalb der ersten drei Monate nach der Empfängnis sollte straffrei bleiben, wenn zuvor eine Beratung der Schwangeren stattgefunden hatte. Diese »Fristenregelung« wurde vom Bundestag gegen die Stimmen der CDU/CSU verabschiedet, trat jedoch nicht in Kraft, weil sie vom Bundesverfassungsgericht auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion und mehrerer Bundesländer für verfassungswidrig erklärt worden war. Das Gesetzgebungs- wie das Verfassungsgerichtsverfahren waren von einer leidenschaftlichen öffentlichen Diskussion begleitet. Es gab Demonstrationen und Gegendemonstrationen, Unterschriftskampagnen und Selbstbezichtungen. Gleichzeitig zeichneten sich die Debatten im Bundestag durch großes Verantwortungsbewusstsein und durch Respekt vor Gewissensentscheidungen aus. Die Positionen in der Diskussion wurden auf den Punkt gebracht durch die Forderungen, die an den äußeren Rändern des Meinungsspektrums formuliert worden sind: »Mein Bauch gehört mir.« und »Abtreibung ist Mord«. Die erstere besagt: die Entscheidung, ob sie ein Kind austragen will oder nicht, liegt allein bei der Mutter, die letztere: Das Leben beginnt mit der Verschmelzung von Samen und Eizelle, jeder Abbruch einer Schwangerschaft ist daher unzulässig. Zwischen diesen Extrempositionen gibt es eine Vielfalt unterschiedlicher Meinungen. Die Neufassung des § 218, die mit den Stimmen von SPD und FDP 1976 verabschiedet worden war, sah die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs vor, wenn bestimmte Indikationen (angezeigte Gründe) vorliegen, vor allem die medizinische (Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter) und die soziale Indikation (Gefahr einer schweren Notlage der Schwangeren, die eine Fortsetzung der Schwangerschaft unzumutbar erscheinen lässt). Die DDR hatte 1972 eine weitgefasste Fristenregelung eingeführt. Der Einigungsvertrag verlangte eine einheitliche Regelung bis 1992. Bis dahin galten in den alten und in den neuen Bundesländern jeweils die bisherigen Bestimmungen. Die Neuregelung durch das Schwangerschafts- und Familienhilfegesetz von 1992, das auf eine Fristenregelung mit obligatorischer Beratung hinauslief, wurde auf Antrag Bayerns und der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion durch das Bundesverfassungsgericht teilweise für nichtig erklärt. Das Gericht stellte fest, dass eine Abtreibung grundsätzlich rechtswidrig ist, dass sie bei einer medizinischen Indikation erlaubt ist, dass sie auch sonst straflos bleibt, wenn sie binnen zwölf Wochen vorgenommen wird und wenn die Schwangere sich vorher hat beraten lassen. Schließlich stellte das Gericht fest, dass ein rechtswidriger Abbruch nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden darf. 1995 hat der Bundestag den § 218 im Sinne dieser Grundsätze neu gefasst.

Universal-Lexikon. 2012.

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